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Kosovo, Irak, Darfur

Financial Times Deutschland, 30 July 2004


Die internationale Gemeinschaft ringt darum, ein wirksames Vorgehen im Sudan zu beschließen. Die Uno muss sich auf Grundsätze für legitime Interventionen einigen

Mit dem Irak-Krieg, den Ereignissen im Kosovo, und den Debakeln in Bosnien, Ruanda und Somalia sind die internationalen Regeln für den Einsatz in Auflösung. Nach dem eigenmächtigen Einmarsch der USA im Irak gegen eine klare Mehrheit im Sicherheitsrat ist es heute viel schwieriger, einen internationalen Konsens selbst für eine rein humanitäre Intervention zu erreichen: siehe den quälenden Versuch der Uno, ein entschlossenes Vorgehen im Sudan zu beschließen.

Die Staaten scheinen sich nach Belieben ihre eigenen Regeln zu schaffen, sie ziehen in den Krieg, wenn sie das nicht tun sollten, und ziehen nicht in den Krieg, wenn sie das sollten. Welche Aufgabe liegt also vor denjenigen, die den Trend zum Unilateralismus umkehren wollen und die sich für ein kollektives Handeln bei der Anwendung von Gewalt einsetzen? Und wie kann das Vertrauen in die Rolle und die Entscheidungen des Uno-Sicherheitsrats wiederhergestellt werden? Denn nur dann werden die Staaten, die stark genug sind, das Gremium zu umgehen, darauf verzichten.

Es geht nicht so sehr darum, welche Instrumente das Völkerrecht bereitstellt. Wir brauchen keine neuen Normen, keine Modifizierung bestehender Normen, keine neuen Normen-schaffenden oder Normen-umsetzenden Institutionen. Die Uno-Charta enthält bei richtiger Anwendung die vollständige Bandbreite notwendiger - sowohl reaktiver als auch präventiver - Antworten auf alle wahrscheinlichen künftigen Sicherheitsbedrohungen.

Wir müssen aber den Prozess verbessern, in dem die bestehenden Regeln für den Gewalteinsatz angewandt werden. Fünf grundlegende Kriterien müssen entscheidend sein, wenn Gewaltanwendung nicht nur rechtmäßig, sondern auch legitim sein soll.

Erstens: die Ernsthaftigkeit der Bedrohung. Ist die Bedrohung für einen Staat und die Sicherheit der Menschen eindeutig und schwerwiegend genug, um die Anwendung militärischer Gewalt zu rechtfertigen?

Zweitens: das richtige Motiv. Ist eindeutig, dass das vorrangige Ziel der Militäraktion darin besteht, eine Bedrohung einzudämmen oder abzuwenden. Welche anderen Zwecke oder Motive könnten bei der vorgeschlagenen Mission eine Rolle spielen?

Drittens: der Einsatz als letztes Mittel. Wurde jede nichtmilitärische Option in Betracht gezogen, und ist es wahrscheinlich, dass weniger drakonische Maßnahmen scheitern würden?

Viertens: die Verhältnismäßigkeit. Sind das Ausmaß, die Dauer und die Intensität der Militäraktion das Minimum, das nötig ist, einer Bedrohung zu begegnen?

Fünftens: das Gleichgewicht der Folgen. Besteht eine angemessene Chance, dass die Militäraktion erfolgreich ist, und ist zu erwarten, dass die Folgen des Handelns nicht schlimmer sind als die des Nichthandelns?

Diese 2001 von der International Commission on Intervention and State Sovereignty entwickelten Grundsätze wurzeln in der westlichen Tradition der Theorie vom "gerechten Krieg". Sie sollen jedoch universelle Werte spiegeln und nicht kultur- oder religionsspezifisch sein.

Die Richtlinien sollten immer dann systematisch diskutiert und angewandt werden, wenn der Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII die Entscheidung über Kampfhandlungen fällt. Sie würden klären, ob die Bedrohung von außen oder innen kommt, ob es um das "Recht auf eine Reaktion" oder die "Verantwortung zum Schutz" geht oder ob die Bedrohung in Form von marschierenden Soldaten, Massenvernichtungswaffen, Terrorismus oder den Macheten von Stammeskriegern auftritt.

Natürlich wird man auf die fünf skizzierten Fragen keine fertige Antwort per Knopfdruck erhalten. Meinungen sind immer unterschiedlich, genauso wie nationale Interessen - und bekanntermaßen beeinflussen Interessen Meinungen.

Als jemand, der viele Jahre in Beratungen dieser Art involviert war, bin ich überzeugt, dass ein guter Prozess bessere Ergebnisse herbeiführen kann. Wenn systematisch über die Kriterien diskutiert werden muss, kann man kritischen Aspekten viel weniger ausweichen oder sie ignorieren. Kollegen werden härter nachfragen, und sogar die Presse wird zuweilen die richtigen Fragen stellen. Letztendlich werden starke Argumente stärker erscheinen und schwache Argumente schwächer. Darauf kommt es an.

Bei den fünf Kriterien der Legitimität geht es nicht darum, dass sich auf jeden Fall das objektiv beste Ergebnis immer durchsetzt. Es geht darum, im Sicherheitsrat möglichst einen Konsens zu erreichen, wann eine Militäraktion angemessen ist oder nicht. Es geht darum, die internationale Unterstützung für die Entscheidung des Sicherheitsrats zu maximieren und die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass einzelne Mitgliedsstaaten den Sicherheitsrat umgehen oder ignorieren.

Wenn wir das schaffen, sind wir trotz aller bestehenden Hürden auf dem Weg zu einer internationalen Rechtsordnung. Und wir können optimistisch sein, dass wir nicht auf ewig dazu verdammt sind, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Gareth Evans ist Präsident der International Crisis Group. Er war australischer Außenminister.